Die STUHLstory

Alles fing ganz unverfänglich im Fitnessstudio an... als der diensthabende Trainer eines Abends meine mit mir zusammen sportliche Vermieter-Nachbarin (eine ausgebildete Raumausstatterin mit Familienbetrieb im Hintergrund) fragte, ob sie sich mal einen Stuhl angucken und grob sagen könnte, wie teuer so eine neue Polsterung wäre. Wir haben uns dann alle drei gemeinsam den Stuhl angesehen; ein Armlehnstuhl mit schönem rot-weißem Leinen bezogen und dunkelbraun gebeizten Beinen. Eigentlich für den Sperrmüll vorgesehen, "weil das Polster halt verschlissen und der Stuhl auch nicht wirklich besonders bequem" sei, aber wenn eine Reparatur nicht allzu teuer werden würde...!?! Wäre sie aber geworden. :(

Wir alle drei meinten "Schade!",

Denn wir alle fanden es sei ein schöner Stuhl! Offenbar gut gearbeitet, trotz Fraßspuren im Holz stabil, mit ansprechender Form und dekorativem Charme.

...

Hm.

...

Haben kurz unentschlossen dagestanden.

Der Trainer sicher, dass ihm das Neupolstern zu kostspielig ist.

Die Raumausstatterin sicher, dass es nicht billiger wird als angegeben.

Und die Textilrestauratorin (ich ;)!) sicher, dass die Fehlstellen (herkömmlich auch schlicht als "Löcher" bezeichnet) im Bezugsstoff eigentlich recht simpel und relativ schnell unterlegt und nähtechnisch gesichert (also geflickt) werden könnten.

 

Als Textilrestauratorin hat man immer wieder auch mit Polstermöbeln zu tun. Im Studium habe ich über deren Konstruktion und Aufbau leider nichts gelernt. Im Praxissemester hatte ich die Chance in Burghley House in Stamford / England an einem Wochenendseminar zum Thema "upholstery" teilzunehmen. Es waren zwei interessante Tage in toller Umgebung und mit netten Leuten und neben einem Vortrag gab es auch ein paar praktische Versuche, bei denen man zumindest mal einige der üblichen Polsterergerätschaften in die Hand nehmen durfte. Polstern haben wir aber natürlich dadurch alle nicht gelernt. Und vom theoretischen Wissen ist bei mir auch nur hängen geblieben, dass sich die englische Art der Gurtung und Verknotung der Sprungfedern von der der französischen unterscheidet, aber wie genau... alles schon wieder (after 13years - mind you!) vergessen! :s Deshalb kam mir die Idee ICH könnte den Stuhl doch neu polstern!?!

Vielmehr: in der Werkstatt meiner Vermieter und bei dem gelernten Polsterersenior das Polstern mal anhand dieses Stuhles "lernen"?! Als unbezahlter Praktikant - ohne Erfolgsgarantie was das Ergebnis der Neupolsterung angeht allerdings...

Die Raumausstatterin meinte sofort das könne ich gerne machen!

Der Trainer wollte das Angebot aber nicht annehmen, bot mir jedoch den Stuhl als Versuchsobjekt an.

Und ich war begeistert! :)

Der Stuhl wurde eingepackt und abtransportiert. Da ich zu der Zeit beruflich allerdings gerade noch in ein Restaurierungsprojekt in Schloss Ludwigsburg eingebunden war, ging es mit dem Polsterabenteuer erst ein paar Monate später los. Zumindest praktisch - Gedanken über das "Wie" hab ich mir direkt gemacht. Da ich ja das Polstern lernen wollte, war die Idee eigentlich alles abzunehmen und neu zu machen - wenn möglich unter Verwendung des alten (gewaschenen) Bezugsstoffes, wenn nicht, mit Neuem. ... Aber irgendwie kam mir eines schönen Tages das Bild von dem Stuhl ohne Bezug, als "nacktes" Holzgestell, gegurtet und mit Kissen aus dem alten Bezugsstoff belegt, in den Sinn... und da blieb es (das Bild), schlug Wurzeln und erstickte alle anderen gedanklichen Ansätze im Keim!

Meine Vision den Profis in der Polstererwerkstatt zu vermitteln wollte mir anfangs nicht recht gelingen. Wie "nur Gurten"?! Wie "nur mit Kissen auslegen"? Leichte Verwirrung bei allen - kein Wunder! Schließlich hatte ich ja gesagt, ich wolle anhand des Stuhles das Polstern lernen! Und nun sollte plötzlich gar nicht mehr gepolstert, sondern nur gegurtet werden...?!?

Wir haben uns dann darauf geeinigt, dass ich erstmal anfange. :)

 

Zunächst das vorsichtige Trennen und Abnehmen des Polsterbezuges, den ich unbedingt wieder verwerten wollte. Die hunderte von Nägeln und Tackernadeln mit denen der Bezug, aber auch die unterschiedlichen dutzenden Lagen Polstermaterial, am Holzgestell des Stuhles befestigt waren ein SCHOCK für das zarte Gemüt einer Textilrestauratorin! Ebenso die "großzügige" Verwendung von Leim zum Stopfen von Löchern und Festigen poröser Elemente. :o In den Augen eines Polsterers "alles ganz harmlos" wie ich lernen durfte! :) Überhaupt lerne ich so einiges (kennen). Werkzeuge, Handgriffe, Kniffe und Tricks. Sehe neidisch, wie einfach und leicht dem Meister von der Hand geht, was bei mir mehrere Anläufe braucht. Eingerostete Nägel mit einem Geisfuß freischlagen und raushämmern zum Beispiel...Es dauert zwei Tage, bis ich alle Schichten Polstermaterial vom Gestell runtergeschnitten, gerissen und gekratzt habe. Das Entfernen abgebrochener Nägel / Tackerklammern und von Leimresten dauert noch länger! Irgendwann hab ich aber schließlich alle Teile splitterfrei geschmiergelt und das Holzgestell des Stuhles ist nicht nur ein Handschmeichler, sondern sieht auch so aus, wie ich es mir vorgestellt habe! Hell und "sauber", wenn auch voller Nagellöcher, Fraßspuren, Rostflecken, Absplitterungen - meiner Ansicht nach charmante Hinterlassenschaften, die Gebrauch bezeugen und Charakter verleihen.

 

Zur Neuverleimung und zum Herstellen einer kleinen Ergänzung an einer der Armlehen geht es zum befreundeten Holzrestaurator. Eigentlich keine große Sache, ... Eigentlich. Aber dann ist doch weit mehr zu tun, als erst gedacht; es gilt nicht nur ein Brett in der Lehne zu ver- und ein Paar Dübel, die mir beim Auseinandernehmen des Gestelles abgebrochen sind, zu ersetzen, sondern auch alle anderen Dübel zu kürzen (Weil sie leider zu lang sind für ihre Löcher!? Hier war offensichtlich zuvor kein Dübelprofi am Werk...) und sie anschließend "anzufasen" (soll heißen die Enden anschrägen), Außerdem müssen doch zwei Risse geleimt und mehr als nur an einer Stelle etwas ergänzt werden. Als wir endlich das Gestell neu zusammensetzen und verleimen können, ist es viel später, als uns lieb ist und wir beide sind eigentlich längst "durch". Aber am Ende ist alles mittels Schraubzwingen in die gewünschte Form gebracht, festgezurrt und kann in Ruhe trocknen.

 

Eine Woche später stehen mir in der Polstererwerkstatt drei Generationen derselben Familie (abwechselnd, nicht alle gleichzeitig ;) ) mit Rat und Tat beim Gurten zur Seite:

+ Wieviele Gurte sind wo in welchem Abstand sinnvoll?!

+ Mit welchen Nägeln fixiere ich und jeweils an welcher Seite der einzelnen Teile des Gestelles?!

+ Wieviele Nägel brauche ich pro Gurt?

+ Und die Gurtenden doppelt oder dreifach eingeschlagen, damit sie nicht ausfransen?!...

Alles Dinge, die man wissen muss und ich froh bin nicht allein entscheiden zu müssen!

 

Sehr sehr viele fröhliche, aber auch anstrengende Arbeitsstunden später ist der Stuhl endlich fertig! Zu Hause statte ich ihn mit den Kissen aus, die ich zwischendurch aus den Stücken des alten rot-weißen Bezugstoffes und den originalen Gurten genäht habe, und mache ein finales Probesitzen! Ergebnis: es sitzt sich bestens! :) Die Mühe hat sich also gelohnt. Den nächsten Stuhl mach ich wieder so!